Da vermag ich keinerlei auch nur einigermaßen vernünftige Relation zu sehen und verstehe auch sehr gut, dass viele Leute an der Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit hierzulande schwere Zweifel haben.
Hi oggsi,
ja - bis vor ein paar Jahren war auch ich regelmässig und höchst irritiert, dass Eigentumsdelikte meistens erheblich schwerer bestraft werden als Körperdelikte.
Allerdings nur solang, bis ich begriffen hab, dass Deutschland in erster Linie ein Eigentumsrechtsstaat und kein Menschenrechtsstaat ist - wie übrigens alle anderen Staaten auch.
Alle bestehenden Rechtssysteme sind von Anfang an dafür geschaffen worden, die Ungleichverteilung von Eigentum und leistungslose Einkommen zu schützen. Diese Rechtssysteme haben eine jahrhundert- bzw. jahrtausendalte Tradition (nebenbei: auch Schrift und Zahlen bzw. Mathematik sind ursprünglich erfunden worden, um die Schuldverhältnisse zu erfassen, die mit der Ungleichverteilung zwangsläufig einhergehen).
Ungleichverteilung von Eigentum und leistungslose Einkommen lassen sich dauerhaft nur mit physischer und struktureller Gewalt aufrecht erhalten. Zur physischen Gewalt gehören z.B. Militär, Polizei und Gefängnisse. Zur strukturellen Gewalt gehören z.B. das Geld-/Finanzsystem, das Steuersystem, die Verwaltung und eben das Rechtssystem.
Sowas wie Menschenrechte für alle BürgerInnen kommen in so einem Eigentumsrechtssystem gar nicht vor bzw. sind sogar ausgesprochen unerwünscht.
In allen Staaten war bis vor ein paar Generationen der Grossteil der Bevölkerung nämlich auf die eine oder andere Art "bewegliches Eigentum" von relativ wenigen Besitzenden (Feudalen). In Russland zur Zeit von Katharina der sog. Grossen waren z.B. 98% der Bevölkerung Leibeigene oder Sklaven. Und die 2% der Feudalen durften mit Ihnen alles machen - also verprügeln, foltern, vergewaltigen, demütigen ... . Irgendwie musste man die Leute ja zum arbeiten "motivieren". Nur umbringen durfte man sie nicht. Das ist ja auch verständlich - denn die Leibeigenen und Sklaven waren ja schliesslich die, die produktiv gearbeitet und damit die Vermögen und leistungslosen Einkommen der Feudalen erwirtschaftet haben. Und wenn doch einmal ein Leibeigener/Sklave umgebracht wurde, dann war das mit Sicherheit nur ein geringfügiges "Eigentumsdelikt", das für den feudalen Mörder/Totschläger keine gravierenden Folgen hatte - schon gar keine Haftstrafe.
Menschenrechte für alle sind geschichtlich gesehen also ein äusserst junges "Pflänzchen" - in die bestehenden Rechtssysteme haben sie nur in sehr begrenztem Umfang Eingang gefunden. Und wenn, dann stehen sie eben eindeutig an zweiter Stelle nach den Eigentumsrechten. Das wird wohl noch viele Generationen dauern, bis sich die Rangfolge umkehrt. Vermutlich aber erst dann, wenn wir bzw. unsere Nachkommen die Feudalen zum Teufel gejagt haben.
Interessant ist in diesem Kontext auch, dass bei egalitären Gesellschaften - also Gesellschaften, in denen es keine leistungslosen Einkommen gegeben hat und in denen das Eigentum im grossen und ganzen gleichverteilt war - Einrichtungen wie Militär, Polizei, Gefängnisse, Verwaltung, Gesetzbücher bzw. Gerichte, Steuern usw. vollkommen unbekannt waren. Ich geh davon aus, dass die Menschenrechte damals sowohl für alle im gleichen Mass gegolten und als auch an erster Stelle gestanden haben. In diesem Sinn sind die Menschenrechte also ein uraltes "Pflänzchen"
Irgendwann werden die jetzigen (Staats)Systeme verschwinden - denn:
"Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit steht von alleine aufrecht"
(Thomas Jefferson, amerikanischer Präsident, Grossgrundbesitzer, Sklavenhalter, Vermögen: 250 Millionen Dollar (auf heutige Kaufkraft umgerechnet) - er war also im Verhältnis zu den heutigen Feudalen so was wie ein armer Schlucker)
Gruss Matthias
PS: wer sich dafür interessiert, warum und wie (National)Staaten, unser heutiges Rechts-, Finanz- und Wirtschaftssystem entstanden sind, dem empfehl ich das Buch "Das Ende der Megamaschine" von Fabian Scheidler (Bitte beachten Sie die Packungsbeilage: das Buch ist nichts für schwache Nerven )