Gibt es Abzocke durch sinnlose Verkehrsregeln und –überwachungen?
Hallo, ...wie versprochen
In den unterschiedlichsten Themen im Board (die meisten fangen mit dem Satz „bin geblitzt worden“ an) :D, wird immer wieder die Sinnhaftigkeit von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen bzw. einschränkenden Beschilderungen an konkret oder allgemein beschriebenen Örtlichkeiten in Frage gestellt. 3 fiktive Beispiele, so oder so ähnlich:
1. „Bin am Flughafenzubringer mit 75 bei erlaubten 60 geblitzt worden, 22 Uhr, Lärmschutz kann es ja wohl am Flughafen nicht sein, breite, gut ausgebaute, mehrspurige Straße... das ist reine Abzocke.“
2. „Muss 40,- € berappen, wegen Überholen im Überholverbot, war ne kerzengerade, weit einsehbare Strecke außerorts im Waldgebiet, keine Kuppe und ich habe wirklich niemanden gefährdet... Abzocke.“
3. „Habe wirklich nur kurz ein Rezept beim Arzt in der Einkaufspassage abgeholt, Parkverbot an total breiter Straße nur unmittelbar vor dieser Einkaufspassage mit vielen Geschäften, vor der letzten und nach der nächsten Einmündung ist kein Parkverbot, obwohl die Straßen- und Verkehrssituation die gleiche ist... Abzocke derjenigen, die nur mal schnell eine Besorgung machen wollen.“
Bei mir entsteht in diesem Zusammenhang nicht selten der Eindruck, dass sich die „Abgezockten“ eine Rechtfertigung zusammenstricken, um in ihrem Frust über das Knöllchen, vom eigenen Fehlverhalten abzulenken. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Die Betroffenen tragen nur die für sie „günstigen“ Umstände in ihrer Rechtfertigung zusammen, die ungünstigen wollen sie gar nicht sehen oder sie können sie nicht sehen.
Das Phänomen nennt man in der Psychologie Verdrängung.
Dabei gibt es meist sehr gute Gründe, die einerseits die Straßenverkehrsbehörden veranlassen, Verbote oder Beschränkungen anzuordnen, andererseits die Polizei und Ordnungsämter dazu bringen, deren Einhaltung zu überwachen. Nicht immer sind diese Gründe offensichtlich, manchmal muss man sehr genau hinschauen und nicht selten bleiben sie dennoch verborgen.
Die Akzeptanz, sich an Verkehrsregeln, Verbote und Beschränkungen zu halten oder eine Strafe hinzunehmen, hängt von deren Transparenz ab, das wissen die Planer, deshalb gibt es neben Vorschrifts- und Richtzeichen auch Gefahrenzeichen und hinweisende Zusatzschilder. Wer mit 45 bei erlaubten 30 mit Zusatzschild „Schule“ oder „Altersheim“ tagsüber geblitzt wird, wird erstens die Klappe halten und zweitens ohne knurren zahlen, tut er das nicht, wird er sich Schimpfwörter gefallen lassen müssen.
Gehen wir deshalb zurück zu den drei Beispielen:
1. Vielleicht ist um 22.00 Uhr Schichtwechsel, eine Vielzahl von ortskundigen Flughafenbeschäftigten trifft mit ortsunkundigen Abholern und Bringern zusammen, die sich einem Gewirr von Beschilderungen für Abfahrten und Abzweigen zu den unterschiedlichen Terminals, Parkflächen, Frachtbereichen etc. gegenüber sehen, orientieren müssen, unvermittelt bremsen oder den Fahrstreifen wechseln. Dann sind hohe Geschwindigkeitsdifferenzen extrem unfallträchtig und müssen heruntergebremst werden, auch wenn die Straße gut für 80 ist, wenn man sich auskennt und mit Verkehrsteilnehmern alleine ist, die sich ebenfalls auskennen.
2. Vielleicht gibt es eine oder mehrere, nicht oder schlecht erkennbare Einmündung(en) zu Erholungsgebiet-Parkplätzen oder Ausflugslokalen. Pkw überholt Lastzug, Lastzug verdeckt die Sicht auf diesen Pkw für den von rechts aus dem „Waldweg“ kommenden Pkw, der noch vor dem LKW nach links abbiegt. Gleichfalls verdeckt der Lastzug die Sicht des überholenden Pkws auf den einbiegenden, der ihm nun plötzlich frontal entgegen kommt.
3. Vielleicht befindet sich in der Einkaufspassage ein sensibles, gefährdetes Objekt und die Parkverbotszone wurde aus allgemeinpolizeilichen und nicht verkehrsspezifischen Sicherheitsgründen eingerichtet.
Diese drei Beispiele sollten einen Anstoß geben, nicht nur die „offensichtlichen“ Gründe zu akzeptieren. Es gibt sehr wohl deren, die man nicht gleich erkennt.
Mir erscheint es in diesem Zusammenhang auch noch sehr interessant, dass es wohl Verkehrsregeln und deren Überwachung gibt, die zumindest in diesem Forum grundsätzlich nicht angezweifelt werden und auch kaum mal „bin erwischt worden“ angesprochen wird. Tut dies dennoch jemand, wird er regelmäßig ausgebuht. Dies spricht sowohl für die Akzeptanz der Regel, als auch für die Akzeptanz deren Überwachung, z.B:
- Abstand
- Trunkenheit im Straßenverkehr
Woran liegt das wohl? Etwa, weil man bei beiden Themen keine Umstände konstruieren kann, die einen Verstoß als „sozialadäquat“ rechtfertigen könnten? Die Straße war breit genug für meine Schlangenlinien, außer dem Zeitungsausträger war auch noch niemand unterwegs, warum stellen die sich so an, dass ich 2,2 Atü gepustet hab? Konnte schließlich die dritte Bremsleuchte des Vorvormannes sehen, warum Abstand halten?
Aha! Geht nicht!
Dann sind wir wieder bei dem Thema: Ich mache mir meine Verkehrsregeln selbst, ich kann ja begründen warum. Starenkästen sind Abzocke, weil ich die Verkehrsregel nicht akzeptieren will, dass innerhalb geschlossener Ortschaften 50 gilt. Ich baue mir ein paar Rechtfertigungsgründe (Industriegebiet, 4 Uhr morgens, keine Sau unterwegs) hinzu und schon darf ich 60 fahren. Der Nächste hat noch eine persönliche Idee (Straße trocken, gut ausgebaut) und hält dann 70 für sich als sozialadäquat.
Das ist doch abartig!
Dieser Themenstart soll aufzeigen, dass man sehr vorsichtig mit Aussagen umgehen sollte, bestimmte Überwachungsmaßnahmen seien Abzocke oder auch bestimmte Beschilderungen würden angebracht, um Abzockemöglichkeiten zu schaffen. Die Hintergründe liegen oft im Verborgenen.
Der Themenstart soll auch aufzeigen, welche Mechanismen zu solchen Behauptungen führen, dass sie das eigene Ego durch Verdrängung schützen, weil es so leicht ist, die Schuld für eigene Verfehlungen auf andere zu schieben.
Vielleicht kennt jemand „reale“ Beispielssituationen für Beschränkungen und deren Überwachung, die bei oberflächlicher Betrachtung beim Unwissenden Kopfschütteln hervorrufen
Vielleicht kennt auch jemand solche Beispielssituationen, die er bei bestem Willen nicht nachvollziehen kann und wir finden tatsächlich keine Erklärung und einen Fall von Abzocke steht im Raum. Dann kann man auch mal der Behörde auf den Keks gehen und von seinem Anfrage- und Beschwerderecht gebrauch machen.